BR-Newsletter | 18.06.2018

18.06.2018

…Die Geschichten von Günter und Elli…

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Am ÖGB Kongress wurde die Geschichte von Günter erzählt. Und daraus wird glasklar, was häufigere 12 Stunden Arbeit in einem immer unsozialer werdenden System für einen Schwerarbeiter bedeuten könnten.

An der Uni haben wir keine Günters – oder doch?

Stimmt, Pflasterer haben wir keine - aber.

Aber wir haben auch Kolleg_innen, die schwere körperliche und handwerkliche Tätigkeiten ausüben, wir haben Kolleg_innen, die hochkonzentriert arbeiten müssen.
Und es gibt noch einen anderen Faktor, der vermeintlich weniger schwere Arbeiten schwer werden lässt: Stress. Die Stresslevel sind beispielsweise dort hoch, wo immer neue Services geliefert werden sollen, bei vermeintlich gleichbleibender Mitarbeiter_innenzahl. Sie sind auch dort hoch, wo das Gefühl entsteht, dass der eigene Handlungsspielraum immer kleiner wird und dass man nur noch funktionieren muss – bei immer höherem Zeitdruck. Und dort, wo lange Arbeitszeiten an Bildschirmen, am Smartphone und Tablet immer mehr verschwimmen lassen, was jetzt noch Arbeit und was Privat ist und dementsprechend auch die Erholungszeiten verkürzt.

Erzählen wir einmal die Geschichte von Elli.

Die Elli arbeitet in einer Serviceeinrichtung.

Sie arbeitet gern und es macht ihr Spaß mit jungen Menschen und mit Menschen aus anderen Ländern in Kontakt zu kommen. Auch die Aufgaben sind spannend: von der Reiseplanung bis hin zur Organisation interessanter Veranstaltungen. Dafür bleibt sie gern auch länger. Die Sprechstunden sind auch kein Problem und die Nachbearbeitung von Prüfungen, die macht sie dann eben am Abend. Die Stunden dafür schreibt sie nur teilweise auf – ist ja fast so schön wie ein Hobby, ihre Arbeit. Und außerdem, wie schaut das aus? Das würde ja heißen, sie würde die Minuten zählen. Elli ist jung und zum Glück hat sie auch keine gesundheitlichen Beschwerden. Vielleicht gründen sie und ihr Freund bald eine Familie.

Doch eines Tages merkt Elli, dass sie nur noch sehr schlecht schläft.

Seit die langjährige Kollegin im Krankenstand ist, muss sie deren Aufgaben übernehmen. Das hat sie anfangs nicht gestört. Es war ja praktisch nichts anderes, als sie sonst auch macht. Die paar Stunden am Tag mehr – was soll das schon machen? Nur die neue Ersatzkraft einzuschulen, die keine Praxiserfahrung hat, das geht schon etwas an die Substanz. Manchmal nimmt sie sich jetzt Arbeit mit nach Hause, auch am Wochenende. Da geht sich dann halt die eine oder andere Radtour nicht mehr aus. Aber alles andere würde ja gegen ihre Arbeitseinstellung verstoßen.

Elli hat einen Termin übersehen.

Ihre Chefin wundert sich. Elli ist doch sonst so perfekt. Und sie hat doch auch erst eine stundenweise Ersatzkraft, die gerade mit dem Erststudium fertig ist, extra für den Ausfall der kranken Kollegin zur Seite gestellt bekommen. Diese kurzfristig einzuschulen, das hätte sie Elli schon zugetraut – so perfekt wie sie sonst immer arbeitet. Das kann nicht so weitergehen – der Termin war sehr wichtig. Das darf sich nicht wiederholen. Und aus den Stundenlisten von Elli geht ja auch hervor, dass sich alles blendend ausgeht – es wird sich doch nichts an ihrer Arbeitseinstellung geändert haben?

Elli geht es immer schlechter.

Als die Chefin Elli mitteilt, dass sie jetzt drei neue Kolleginnen aus einem anderen Institut bei sich aufnehmen müssen und damit auch neue Aufgaben übernehmen werden, bekommt sie richtig Angst. Schon seit längerem plagen sie gesundheitliche Beschwerden. Das Aufstehen fällt ihr mittlerweile schwer, weil sie fast nichts schläft. Elli hat zum ersten Mal das Gefühl, dass sie es nicht schafft. Sie merkt sich nur mehr schwer Dinge, auch sich zu konzentrieren fällt ihr schwer. Die junge Ersatzkraft ist auch gegangen – sie will jetzt ihren Master machen und da geht sich das alles nicht mehr aus. Alles was sie ihr beigebracht hat, ist jetzt auch noch umsonst gewesen.

Elli kann nicht mehr.

Elli weiß, dass sich auch ihr Freund Sorgen macht. Über Familienplanung haben sie schon lange nicht mehr gesprochen. Sie fühlt sich so, als hätte sie alle enttäuscht. Obwohl sie immer alles und noch mehr gemacht hat. Als sie die Kollegin aus dem Nachbarinstitut anspricht, ob es Probleme gäbe, bricht Elli in Tränen aus. Am nächsten Tag muss Elli zur Ärztin, weil sie während der Nacht unerträgliche Schmerzen bekommen hat.

Es ist nicht immer nur der Pflasterstein.

Und „die“ Elli gibt es natürlich so auch nicht. Aber die Geschichten gibt es: sie kommen aus Beratungsgesprächen, die wir in den letzten 6 Jahren geführt haben. Und es waren auch Männer, nennen wir sie „Erhards“, dabei. Eines haben sie alle gemeinsam: sie haben alle lange nicht erkannt oder erkennen wollen, wie belastend das ständige Grenzüberschreiten sein kann.

Aber ich will ja lang arbeiten!

„Das entspricht meiner Einstellung und meinem Lebensrhythmus und meine Arbeit ist ja keine ‚Schwerarbeit‘ – sie gibt mir Sinn und macht ja so Spaß“, das hören wir oft im Betriebsrat. Und manchmal scheint es dem einen oder der anderen so, als würden Arbeitszeithöchstgrenzen und Maßnahmen gegen Selbstausbeutung direkt aus der Hölle der Überregulierung kommen und nur die Einschränkung ihrer selbstgewählten Freiheiten im Visier haben.

2 Tage mit 12 Stunden – 3 Tage zur Erholung.

„Generell neige der Mensch in unserer leistungsorientierten Gesellschaft eher dazu, sich zu verausgaben, daher müssten die Unternehmen darauf achten, dass die ArbeitnehmerInnen Pausen einlegen und dazu anregen, diese auch wirklich zu nutzen.“ Das sagen nicht der regulierungswütige Betriebsrat oder die böse Gewerkschaft und die AK. Das sagen Expert_innen in einer Studie der Med. Uni Wien. Und sie sagen auch, dass es praktisch bei allen Menschen (auch jungen und motivierten) einen deutlichen Leistungsabfall ab der 10. Stunde gibt. Leider merken die meisten erst viel zu spät, dass sie nur mehr auf „Reserve fahren“.

Direkt vom „Arbeits-Flow“ in die Erschöpfung.

Gerade die interessante Arbeit, der selbstauferlegte Perfektionsmaßstab oder auch die mangelnde Selbstwahrnehmung, sind die Faktoren, die krank machen und es gibt sicherlich noch einige mehr. So sind viele verleitet, immer wieder über die eigenen Grenzen zu gehen. Man fühlt sich ja nachher auch gut – anfangs. Ab und zu mag das ja wirklich kein Problem sein. Solange es nicht zur Regel wird und solange keine zusätzlichen Belastungen wie Krankheiten, familiäre oder andere private Verpflichtungen dazukommen.

Was tun?

Wir haben im Arbeitsrecht und in den Betriebsvereinbarungen der Universität mittlerweile brauchbare Tools zur Verfügung, mithilfe derer wir Arbeitszeit schon jetzt flexibel und effizient für den Betrieb und trotzdem gesund und fair für alle Betroffenen gestalten können. Man muss sie nur passend einsetzen. Als Betriebsrat sind wir jederzeit Ansprechpartner für alle in diesem Zusammenhang und werden immer Lösungen suchen mittragen, die allen soweit wie möglich entsprechen und den Anforderungen des Betriebs gerecht werden!

Es rechtzeitig erkennen.

Manche „Ellis“ und „Erhards“ haben es geschafft und erkannt, wo ihre Grenzen sind und haben gemeinsam mit ihren Vorgesetzten (und auch dem Betriebsrat) gute Lösungen finden können – die beide Seiten berücksichtigen (ja, das ging mit den derzeitgen Regeln auch schon). Manche aber haben die Universität leider verlassen, andere sind unglücklicherweise immer noch in dieser Situation, manche im Krankenstand und manche kurz davor.

Flexibilität darf nicht nur in eine Richtung gehen.

Eines ist uns aber in jedem Fall klar: Arbeitszeitausweitung, Flexibilisierung nur in eine Richtung, das ist uns, aus Erfahrung und gestützt durch Expert_innen, zu wenig - viel zu wenig! Und bringt langfristig keine Erhöhung der Produktivität und schon gar nicht der Lebensqualität!

Gemeinsam zu einer guten Lösung.

Die neuen Regelungen zum 12-Stundentag werden so oder so auch uns treffen, soviel ist jetzt schon klar. Wie, was und wann werden uns die nächsten Tage und Wochen zeigen.
Wir sind auf jeden Fall gesprächsbereit und werden – in Kooperation mit allen Beteiligten - auf jeden Fall alles tun, was uns als Betriebsrat möglich ist, um die negativen Folgen soweit es geht zu vermeiden.

Mit bestem Gruß, Ihr Betriebsrat